Die Kunst der Resignation


Die moderne Naturwissenschaft zeigt sich in einer merkwürdigen Janusköpfigkeit: Einerseits ist sie ein Instrument, mit dessen Hilfe wir die Verfügbarkeit der Natur vorantreiben, andererseits ist sie aber auch ein Instrument, das allererst die Natur als eine gegen die Sinninteressen des Menschen rücksichtslose und übermächtige Instanz offenbart. Das wissenschaftlich-technische Wissen erscheint in der Folge zwar auch als Mittel der Daseinsbewältigung, aber eben auch als eines der Daseinskränkung. Mit dem Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit äußert sich diese Janusköpfigkeit der Naturwissenschaften als zunehmender Zweifel an der Konvergenz von Erkenntnis und Glück, welche noch für die Antike und das Mittelalter selbstverständlich war. Wissen ist keine Quelle des Glücks mehr, sondern Ursache eines Unbehagens, welches sich daran entzündet, daß der Mensch sich nicht länger als Geschöpf in einer für ihn geschaffenen Welt sieht; er ist nicht länger eingesetzt, sondern ausgesetzt in einer Welt, welche ihm zwar die Sorge um sein Dasein abverlangt, die ihrerseits aber um das sorgende Wesen unbekümmert ist. –

Dieser Prozeß der Wissensvermehrung, der mit den modernen Naturwissenschaften einsetzt, trägt hinsichtlich des menschlichen Glücksstrebens die Signatur der Enttäuschung. Es darf bezweifelt werden, ob Wissen glücklich macht. Eine der berühmten Textstellen in diesem Zusammenhang findet sich in Freuds Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (Studienausgabe, Bd. 1, Frankf. 1989; S. 283):

„Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, als sie erfuhr, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern ein winziges Teilchen eines in seiner Größe kaum vorstellbaren Weltsystems. Sie knüpft sich für uns an den Namen Kopernikus […] die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies. Diese Umwertung hat sich in unseren Tagen unter dem Einfluß von Charles Darwin […] vollzogen. Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische Erforschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt von dem, was unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht.“ –

Möglicherweise ließe sich zu diesen „Kränkungen“ noch eine vierte anführen, nämlich die der Neurowissenschaften, welche sich anschicken, die menschliche Willensfreiheit als eine von Gehirnaktivitäten abkünftige zu entlarven. –

Wie läßt sich in einer Welt leben, die um die Sinnbelange des Menschen unbekümmert ist? – Der exemplarische Vollzug der Philosophie war einst die Betrachtung des Himmels. Als contemplator coeli war der Mensch berufen, die Zeichen des Himmels als eine für ihn von Gott geschriebene Botschaft zu empfangen und im Buch der Natur sowie im Buch der Offenbarung zu lesen. Mit Kopernikus, Kepler und Galilei mehren sich die Zeichen für das Ende aller Zeichen. Der Kosmos schweigt. „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich,“ schreibt Pascal in seinen Gedanken. Die entzauberte Welt ist nicht länger vollkommende Schöpfung eines vollkommenen Schöpfers. Der Mensch hat seine Zentral- und Sonderstellung in dieser Welt verloren. Er ist aus dem Zentrum der Welt „herausgefallen“, wie Nietzsche schreibt. – Die Aufklärung hat uns die Selbstbehauptung der Vernunft angesichts des Absolutismus der Wirklichkeit gelehrt – aber ist Vernunft die einzig mögliche Form des Umgangs mit diesem Absolutismus?

Hans Blumenberg hat den Prozeß des schrittweisen Sichabfindens mit der grund- und rücksichtslosen Wirklichkeit als eine „Kunst der Resignation“ (Höhlenausgänge; S. 791) umschrieben. Die Kunst der Resignation ist eine Kunst des Abschiednehmens von überdehnten Sinn- und Fürsorgeansprüchen. Sich abzufinden mit dem, was zugemutet wird – wäre das der Beitrag einer Philosophie als Lebenskunst? –

Bedürfnis nach Traulichkeit


Die beheizte Stube in klirrender Winterkälte – auch das ist eine Stätte der Zuflucht vor dem Absolutismus der Wirklichkeit; so wie ja schon das Geborenwerden das Verlassen einer Höhle ist, nämlich einer Höhle der Geborgenheit. Das, was lebensgeschichtlich der Mutterschoß ist, ist biblisch das Paradies und evolutionsbiologisch das Meer. Der Mensch – das ausgesetzte Wesen, immer auf der Suche nach Notunterkünften. Erfahrbar wird die Welt womöglich nur unter Weltverzicht. Oder anders gewendet: Der menschliche Bedarf an Realismus ist begrenzt. –

„Der Konsum der Romantik“


Viel wird derzeit über das neue Buch von Rüdiger Safranski gesprochen, das sich mit der Romantik als geistesgeschichtlicher Strömung beschäftigt. – Die Soziologin Eva Illouz hat auch zur Romantik geschrieben, genauer zum „Konsum der Romantik“ und über „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ – zwei sehr gute Studien über den homo sentimentalis und über die wechselseitige Durchdringung und Beeinflussung von Ökonomie und romantischem Liebesideal.